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INTERVIEW MIT KELSEY URBAN, US-AMERIKANISCHE CROSS-COUNTRY-MEISTERIN

Mai 11, 2025

In diesem offenen Gespräch erzählt die US-Nationalmeisterin im Cross-Country, Kelsey Urban, von ihrem Weg: von einer wenig begeisterten jungen Mountainbikerin zur Weltklasse-Athletin.

Frage: Kelsey, wie bist du zum Mountainbiken gekommen und was hat dich an diesem Sport fasziniert? Kelsey: Meine Eltern waren große Radfans und haben meinen Bruder und mich schon als Kinder auf Touren mitgenommen. Um ehrlich zu sein: Viele dieser Ausflüge endeten als sechsstündige Abenteuer, bei denen wir unsere Bikes schieben mussten. Ich fand das anfangs überhaupt nicht cool – Mountainbiken war für mich zu schwer und ich verstand nicht, was daran Spaß machen sollte. In der frühen Teenagerzeit begannen viele meiner Freundinnen, Sport zu treiben – vor allem Joggen, wegen des gesellschaftlichen Drucks. Ich habe Laufen immer gehasst, aber ich hatte ein Mountainbike zu Hause. Also bin ich alleine früh morgens vor der Schule Rad gefahren. Ich hatte eine kleine Runde und wollte meine Zeit immer wieder verbessern. Dabei habe ich den Sport lieben gelernt – die Einsamkeit, die Natur, den Sonnenaufgang… Es wurde etwas sehr Persönliches. Auch wenn es mit äußerem Druck begann, wurde es zu etwas, das tief aus mir selbst kam. Ich war damals etwa 13.

Frage: Heute fährst du für das KMC Ridley Mountainbike Racing Team. Was hat dich zu diesem Wechsel bewogen und wie war der Umstieg zu einem europäischen Team? Kelsey: Ich war vier Jahre beim Team 31, ein sehr kleines, familiäres Team – perfekt, um zu wachsen. Aber ich spürte den Wunsch, mehr Verantwortung zu übernehmen und unabhängiger zu werden. Der Wechsel zu KMC Ridley war ein großer Schritt. Das Team ist größer und strukturierter. Als Amerikanerin ist es eine Herausforderung, Leben in den USA und die Rennsaison in Europa zu vereinbaren. Ich bin fast sechs Monate im Jahr unterwegs – hauptsächlich in Europa. Daher brauche ich ein stabiles Umfeld, und das bietet mir KMC. Außerdem sind meine Teamkolleg:innen nicht nur sehr kompetent, sondern auch witzig. Ich schätze die kulturelle Vielfalt im Team sehr.

Frage: Du bist mit dem Team bereits in Brasilien gestartet. Wie war diese Erfahrung für dich? Kelsey: Die erste Weltcup-Runde der Saison ist immer besonders: hohe Erwartungen, Druck, Aufregung. Ich liebe Rennen in Brasilien. Es ist toll, an neuen Orten zu fahren, und als US-Amerikanerin bin ich oft außerhalb meiner Komfortzone. In Brasilien ist das auch für Europäer so – das gleicht vieles aus. Die Strecken in Brasilien sind sehr schnell und taktisch. Die Short-Track-Rennen (XCC) ähneln mittlerweile einem engen Peloton. Zwei so intensive Rennen (XCC & XCO) kurz hintereinander zu fahren, fordert alles – aber genau das bedeutet Rennen fahren für mich: im Moment präsent sein.

Frage: Mit Blick auf die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles – wie bereitest du dich auf die kommenden Jahre vor? Ändert die Heim-OLY etwas an deiner Perspektive? Kelsey: Ja, LA 2028 ist definitiv ein Langzeitziel. Aber ich versuche, die Balance zu halten. Wenn ich mich zu sehr auf etwas fokussiere, das noch so weit weg ist, verliere ich die Freude am Prozess. Natürlich bin ich aufgeregt. Aber das Beste, was ich tun kann, ist, mich auf den nächsten Schritt zu konzentrieren: auf die tägliche Arbeit, auf kleine Fortschritte – und darauf, den Weg zu genießen. Ich will die Perspektive nicht verlieren, indem ich nur das Ziel im Blick habe.

Frage: Du hast während deiner Karriere auch dein Studium an der Stanford University abgeschlossen – das ist beeindruckend. Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen? Kelsey: Ich habe 2020 meinen Abschluss gemacht. Stanford war eine prägende Erfahrung. Sowohl die Uni als auch der Weltcup sind Hochleistungsumfelder. Beide zu erleben hat mir geholfen, zu verstehen, wie solche Systeme funktionieren – und wie ich darin funktioniere. Ich habe 20 Leistungspunkte pro Trimester gemacht, gearbeitet, war viermal die Woche mit Freunden unterwegs und habe gleichzeitig auf Profiniveau trainiert – ohne institutionelle Unterstützung. Ich hatte diese „Ich schaffe alles“-Mentalität, aber das führte zu starker Angst und einer Verschlimmerung meiner Essstörung. Am Ende war mein Hormonhaushalt völlig gestört, und es dauerte Jahre, bis ich mich davon erholt habe. Ich habe gelernt: Ja, ich kann alles machen – aber zu welchem Preis? Diese Erfahrung hat mich tief geprägt. Heute bin ich eine Athletin, die mit mehr Ehrlichkeit, Sorgfalt und Respekt auf ihren Körper hört. Für mich bedeutet Leistung: sehen, was der Körper kann, wenn man ihm wirklich zuhört.

Frage: Deine Mutter war zeitweise deine Trainerin. Welche Rolle hat sie in deiner sportlichen Entwicklung gespielt? Kelsey: Das Radfahren mit meinen Eltern zu teilen, war etwas ganz Besonderes. Ich fahre heute noch mit ihnen. Der erste Kontakt mit dem Radsport war etwas, das mit Freude und Verbindung zu tun hatte – das prägt mein Verhältnis zum Sport bis heute. Ich habe nie Druck gespürt, es war immer ein gesundes Umfeld. Es ging darum, etwas Schönes gemeinsam zu erleben. Das ist selten, und dafür bin ich sehr dankbar. Wenn ich heute mit anderen fahre, versuche ich, dieses Gefühl weiterzugeben.

Frage: Heute ist die versenkbare Sattelstütze im XC Standard. Welche Bedeutung hat sie für dich im Rennen? Kelsey: Es ist verrückt, wie schnell sich das verändert hat. Ich glaube, das letzte Rennen ohne Dropper Post war 2018. Seitdem fahre ich nur noch damit. Früher habe ich je nach Strecke entschieden – heute macht es keinen Sinn mehr, ohne zu fahren. Die Strecken sind technischer geworden, was ich sehr gut finde. Es gibt zwar Diskussionen zwischen „Bikepark-Strecken“ mit Sprüngen und natürlichen technischen Trails, aber ich denke, die Entwicklung ist positiv. Sie macht uns zu kompletteren Athlet:innen. Der Dropper ist kein „Nice-to-have“ mehr – er ist essenziell. Für Sicherheit, Vertrauen und Kontrolle. Auch auf flachen Abschnitten kann man durch die tiefere Sitzposition entspannen, besser atmen, stabiler fahren. Ich fahre eine KS-Lev – superleicht und extrem nützlich.

 

Frage: Gibt es andere Komponenten oder Setups, die auf technischen Strecken entscheidend sind? Kelsey: Ja, definitiv. Die Federung ist der wichtigste Aspekt. Dieses Jahr arbeite ich mit unserem Mechaniker Matej, und wir passen das Setup an jede Strecke an. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass mein Bike wirklich auf mich abgestimmt ist. Kleine Anpassungen machen einen großen Unterschied.

Frage: Im Straßenradsport spricht man viel von „marginal gains“. Gilt das auch im Cross-Country? Kelsey: Ja, total. Aber man muss vorsichtig sein. Mein Coach sagt immer: „Marginal gains machen erst Sinn, wenn du die Basics wirklich beherrschst.“ Und die Grundlagen zu meistern ist viel schwieriger, als es klingt. Oft fokussieren wir uns auf jedes Gramm Gewicht, jede Schraube – und vergessen dabei Schlaf, Ernährung oder mentale Gesundheit. Unser Sport ist so unvorhersehbar – diese Obsessionen geben uns nur eine Illusion von Kontrolle. Aber unsere Energie ist begrenzt. Für mich lohnt es sich mehr, in Angstbewältigung zu investieren als in ein leichteres Bauteil. Natürlich zählen Details auf höchstem Niveau. Aber sie müssen zur richtigen Zeit kommen. Deshalb ist ein vertrauenswürdiges Team so wichtig. Wenn mein Mechaniker sich um mein Rad kümmert, kann ich mich auf meine Leistung konzentrieren.

Frage: Du hast dich auch zum Boom des Gravelbikens geäußert. Was denkst du darüber? Kelsey: Immer wenn Menschen das Radfahren für sich entdecken, ist das eine gute Sache. Gravel hat in den USA explodiert. Hobbysportler melden sich zu Rennen wie der „Unbound Gravel“ an, die Profis mit 32 km/h über 12 Stunden fahren – das ist verrückt! Aber genau das ist der Reiz: Abenteuer, Herausforderung. Die Leute wollen echte Erlebnisse – Gravel bietet das. Es bringt frischen Wind in den Radsport.

Frage: Was liebst du heute am Radsport? Was motiviert dich, weiterzumachen? Kelsey: Ich liebe es, dass der Radsport so dynamisch ist. Es gibt immer etwas Neues zu lernen, zu verbessern, zu entdecken. Wenn etwas zur Routine wird, taucht eine neue Herausforderung auf. Letztes Jahr habe ich mich ganz auf meine Gesundheit konzentriert – das war schwer, aber auch erfüllend. Dieses Jahr vertraue ich meinem Körper zum ersten Mal seit Langem wieder voll. Das ist die neue Herausforderung: aus dieser Stabilität heraus weiterzuwachsen. Dieser ständige Wandel – das liebe ich am meisten.

Fotos: Piotr Staron